Kevin Kelly
Das Ende der Kontrolle
Die biologische Wende in Wirtschaft, Technik und Gesellschaft
In meinen Standpunkten klingt immer wieder an, dass für mich die Welt in vielen Dingen "aus allen Fugen geraten ist". Das mag auch vielen Menschen so gehen. Insbesondere die technologische Entwicklung (Computer) und die damit einhergehende Globalisierung der Wirtschaft und des gesamten Lebens (Internet) haben der Menschheit nicht nur Segnungen, sondern auch vielfache "Flüche" und Missbildungen beschert.
Ist das alles noch zum Nutzen des Menschen oder sind viele Dinge schon völlig außer Kontrolle geraten?
Der amerikanische Autor Kevin Kelly hat sich in seinem Bestsellerwerk "Out of Control" (Das Ende der Kontrolle) dieser Problematik gesamtheitlich angenommen. Insbesondere stellt er Forschungsergebnisse und Beobachtungen in Zusammenhang mit der gesamten Natur (Biologie), inkl. des Menschen. Seine überwiegend biologische Reise beginnt bei Beobachtungen der Natur und endet im heutigen und künftigen Computernetzwerk. Entsprechend ändern sich die Verhältnisse hinsichtlich der Beherrschbarkeit. Sein Werk dreht sich ständig um die beiden Pole:
Das Individuum mit seinem Bedürfnis nach freier Entwicklung.
Die Gemeinschaft mit ihrem Bedürfnis nach Einheit und Regulierung.
Inhalt
- Das Gemachte und das Geborene
- Schwarmdenken
- Maschinen und Charakter
- Der Aufbau der Komplexität
- Koevolution
- Der Fluß des Lebens
- Geschlossene Systeme
- Die Biosphäre legt los
- Industrielle Ökologie
- Netzwerkökologie
- Elektronisches Geld
- Gott-Spiele
- Die Bibliothek der Formen
- Künstliche Evolution
- Die Zukunft der Kontrolle
- Ein offenes Universum
- Die Struktur organisierten Wandels
- Postdarwinismus
- Der Schmetterling schläft
- Eine zunehmende Strömung
- Die neun Gesetze Gottes
2. Schwarmdenken
Lebende Systeme sind im allgemeinen als "Schwarmsysteme" aufgebaut. Sie nutzen die Vorteile der Emergenz*, die es gestatten, daß ein System qualitativ neue Eigenschaften besitzt, als sie seine Elemente haben, aus denen es sich zusammensetzt. Solche Vivisysteme haben ein verteiltes Dasein, das charakterisiert ist durch folgende Eigenschaften:
- Das Fehlen einer aufgezwungenen Zentralsteuerung
- Die autonome Natur der Untereinheiten
- Die hochgradige Vernetzung der Untereinheiten
- Die nichtlineare Kausalität der Beeinflussung unter Gleichen
Vorteile von Schwarmsystemen:
- Anpassungsfähigkeit an vorher nicht bekannte Einflüsse
- Entwicklungsfähigkeit - Verlagerung der Anpassungsvorgänge auf andere Teile des Systems
- Unverwüstlichkeit, weil mit paralleler Redundanz aufgebaut
- Unbegrenztheit positiver Rückkopplungsvorgänge
- Tendenz zu Neuerungen und ständiger Erneuerung
Nachteile von Schwarmsystemen:
- Nichtoptimale Effizienz
- Fehlende Steuerbarkeit
- Unvorhersagbarkeit
- Nichtverstehbarkeit vieler Systemzusammenhänge
- Nur indirekte Beeinflußbarkeit
21. Die neun Gesetze Gottes
Die Natur beherrscht mit der Evolution den Trick, aus nichts etwas zu machen. Die wichtigsten Regeln hierzu sind:
- Verteilung der Funktionen auf eine Vielzahl kleinerer Einheiten, das Ganze kann mehr als die Summe der Teile
- Steuerung von unten nach oben über ein weitverteiltes Netzwerk
- Zunehmende Erträge durch positive Rückkopplung
- Züchtung durch Aufbau komplexer Systeme aus einfachen funktionsfähigen Modulen
- Verstärkung der Randzonen, sie sorgen für beschleunigte Anpassung und Flexibilität und sind Ausgangspunkte für Innovationen
- Abgehen vom gewohnten und systematisches Irrtumsmanagement
- Ein komplexes System überlebt nicht durch Optimierung, sondern durch Vielfalt
- Ein stabiles Gleichgewicht ist nicht besser als eine Explosion. Es überlebt nur das instabile Gleichgewicht, das ständig wiederhergestellt werden muß.
- Entwicklung entsteht durch ständige Veränderung der Veränderung und ständige Veränderung der Veränderungsregeln.
Diese Regeln durchdringen nicht nur die biologische
Evolution, sie werden zunehmend auch die technische und gesellschaftliche
Entwicklung durchdringen, der Mensch muß sich mit dem dadurch bedingten Verlust
an Kontrolle abfinden und lernen, damit umzugehen.
*) die spontane Herausbildung von neuen Eigenschaften oder Strukturen eines Systems infolge des Zusammenspiels seiner Elemente
Wo beginnt "Out of Control" ?
Die sog. multikulturelle Gesellschaft, wie sie bei uns insbesondere von den Grünen und linken Parteien propagiert wird, ist bei Kevin Kelly entsprechend der oben genannten Grunderkenntnisse in einem gemeinsamen Zusammenleben "out of control". Dies ist jedoch keine Ablehnung anderer Kulturen - im Gegenteil - sondern eine Grenze der menschlichen Vernunft, ja sogar eine Chance zur gegenseitigen Befruchtung, jedoch nicht in einer engen Gemeinschaft, sondern im gegenseitigen Besuch und gegenseitiger Akzeptanz unterschiedlicher Kulturen in ihren unterschiedlichen Regionen dieser Welt.
Man muss dazu nur die fast schizophrene Einstellung von Menschen
studieren, wenn sie zuhause sind und entsprechende Multikultur in ihrer
Heimatumgebung eher ablehnen und wenn sie im Urlaub sind, wo sie gerade die
fremde Kultur suchen und dabei bereichernde Elemente schätzen und sogar mit nach
Hause nehmen. Es ist eben gerade diese Illusion
einer multikulturellen Gesellschaft, welche zu den größten
Enttäuschungen bis hin zur feindseligen Ablehnung jeglicher Multikultur im
eigenen Bereich führt. Die einfache Vulgo-Version hierzu heißt z.B.: "Der Retsina schmeckt nur in Griechenland, zuhause schmeckt
er wie Altöl!"
Ein Gegentest zur Multikultur lautet
daher: "Fühlt sich ein Mensch aus einem anderen Kulturkreis bei uns tatsächlich
wohl?" Mit großer Wahrscheinlichkeit nicht. Dies liegt jedoch weniger an der
fremden, reservierten Haltung der Einheimischen, als vielmehr an der fehlenden
heimatlichen Umgebung.
Ich kenne natürlich alle bekannten Gegenargumente hierzu, welche sehr schnell beim Totschlagsstempel "Rassist" nach Nazi-Vorbild enden. Damit lebe ich seit Jahrzehnten und meine Verachtung für derartige primitive Totschläger steigt im selben Maße. Solche, meist grün-linke Kritiker saugen ihre "moralische Kompetenz" hauptsächlich daraus, Multikulti-Kritiker sehr schnell in einen Topf mit Nazi, NPD, PEGIDA und dgl. zu stecken. Ach wie sind wir ethisch, sozusagen die "überlegene moralische Rasse" hört man angesichts dessen aus diesen "Moralaposteln". In Wirklichkeit lehnen sie die wirklich moralischen Instanzen, wie z.B die Religionen dieser Welt ab und bekennen sich daher zum rein egositischen ■ Atheismus.
Out of Control beginnt daher für mich als bayerischen Bürger ausserhalb des christlich-katholischen Glaubens und ausserhalb des südländisch-deutschen Sprachraums (Bayern, Baden-Württemberg, Österreich, Schweiz, Südtirol). Innerhalb dessen bin ich dahoam und andere sollen sich in ihren Regionen ebenfalls dahoam fühlen. Ich besuche sie gerne.
Dass dies alles nicht so trivial ist, sollten sie an meinen weiteren Standpunkten erkennen. Letztendlich hat mich dieses Denken auch zu dem Kapitel ■ Republik Alpen geführt.
Mein Resümee aus Kevin Kelly
- Erst wenn Mensch und Tier in ihrer kleinsten
Gemeinschaft, der Familie, Sicherheit und Geborgenheit erfahren haben, sind
sie fähig für den nächsten Gemeinschaftsschritt. Ohne Familien- bzw.
Zugehörigkeitserfahrung sind alle weiteren Entwicklungsschritte
problembehaftet. Im übersetzten Sinn gilt dieses Prinzip für alle Stufen
menschlicher Gemeinschaft, insbesondere auch im Staatswesen.
- Jede Vereinigung von natürlichen Lebensformen von Mensch
und Tier zu einer höheren Gemeinschaft (Schwarm) funktioniert
nur, wenn alle Teile der neuen Gemeinschaft sich ähnlich entwickelt
haben und in dem neuen Gebilde ihre höchst mögliche
Authentizität und Gleichberechtigung wahren
können.
- Bewußte, stabile Individualität (Selbstbewußtsein und
Selbstliebe) ist kein Hindernis für eine Gemeinschaft sondern ihre
unabdingbare Voraussetzung.
- Die höchste geistige Stufe des Menschen liegt in der Erkenntnis seiner
existentiellen Abhängigkeit von der
Gemeinschaft. Parisitäre Individualisten werden schon in der
Tierwelt ihrem eigenen Schicksal überlassen, ausgestoßen und letztlich
getötet. Dieses Prinzip gilt insbesondere für die Parasiten am oberen und
unteren Ende einer Gemeinschaft.
Viele, in sich stabile, kleine, vielfältige Gemeinschaften sind auch im Sinne des Gesamtwohls beherrschbarer und letztlich sozialer als große Gemeinschaften, welche unkontrollierbar im Chaos enden. Dies ist ein eindeutiges Plädoyer für Dezentralisierung und Föderalismus, welches auch ich als Grundsatz für unsere Gesellschaft sehe.